Hilfe in der Krise: Wie steht es um unsere Versorgung in Psychiatrie und Psychotherapie?

Mit diesem ernsten und aktuellen Thema hat der KV Memmingen zu seinem Neujahrsempfang geladen, der am 04.02.2023 in der Kattunfabrik in Memmingen stattfand.

Der Neujahrsempfang startete mit jazziger Musik des Duos Josef Bichlmair (Zither) und Günther Schwanghart (Klarinette), die den Nachmittag mit ausgesucht inspirierenden freien Jazz- und Bluesklängen auf ihre musikalische Art moderierten.

Carmen Stürmer und Sebastian Pohl (Sprecher*in, Direktkandidatin und Listenkandidat für die Landtagswahl) begrüßten die zahlreichen Gäste herzlich und führten durch den Nachmittag. Die Direktkandidatin für die Bezirkstagswahl Evelyn Villing umriss in ihrem Grußwort die wichtigsten Themen und Herausforderungen, die im Bezirkstag anstehen. Aus der Landtagsfraktion berichtete Cemal Bozoğlu MdL kurz über die ersten Aktivitäten in Bezug auf den Wahlkampf.

Was kann von einer modernen und innovativen regionalen psychiatrischen Versorgung erwartet werden?

Keynote von Dr. Raimund Steber, ärztlicher Direktor des BKH Memmingen

Jede*r kann psychisch erkranken, jede*r Dritte wird krank

Jede*r Dritte (33 %) der Bevölkerung ist im Laufe seines Lebens von mindestens einer psychischen Störung betroffen, wobei Angststörungen den größten Anteil bilden, gefolgt von Alkoholstörungen und Depressionen. Fast 75 % der psychischen Störungen bleiben unbehandelt, sei es aus Unwissenheit, Verdrängung, Tabuisierung, Furcht vor Stigmatisierung.

Dr. Steber stellte anschließend das Therapie-Angebot am BKH Memmingen im ambulanten, vollstationären und teilstationären Bereich wie auch in der Tagesklinik durch ein multiprofessionelles Behandlungsteam vor. Waren früher vollstationäre Behandlungszeiten von ca. sechs Wochen und länger üblich, so hat sich die Verweildauer in der Psychiatrie auf durchschnittlich 17,2 Tage verkürzt dank den Möglichkeiten von Tagesklinik und ambulanten, teils aufsuchenden psychosozialen Diensten.

Dr. Raimund Steber (Mitte vorne) beim Vortrag, links vorne: Carmen Stürmer und Sebastian Pohl

Psychische Erkrankungen führen überdurchschnittlich zu Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit

Neuere Studien haben die positive Auswirkung von Arbeit auf die seelische Gesundheit unterstrichen und den Erfolg von psychosozial begleiteter Wiedereingliederung in den 1. Arbeitsmarkt hervorgehoben. Dies wirkt den überdurchschnittlich anfallenden Krankheitstagen und einer Frühverrentung entgegen. Außerdem zeigte Dr. Steber anhand von weiteren Studien den Zusammenhang von psychischer Erkrankung und Wohnungslosigkeit auf, wonach bei 77 % der Obdachlosen eine psychische Erkrankung vorliegt. Demgegenüber gibt es einen eklatanten Mangel an geeigneten Wohnangeboten für psychisch Erkrankte.

Ambulante Versorgung: Es fehlen Psychotherapeuten

Statistisch gesehen bzw. nach dem geltenden, aber veralteten Berechnungsschlüssel für die Bedarfsplanung ist die Versorgung der Bevölkerung mit ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten gut. In der Realität sieht es schlecht aus, da es immer noch viel zu lange Wartezeiten bis zu einer Psychotherapie gibt, außer der gesetzlich vorgeschriebenen Akutsprechstunde (innerhalb vier Wochen einen Facharzttermin).  

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in den Bereichen Arbeit und Wohnen für psychische Erkrankte eine der größten Herausforderung für die Träger, Bezirke und Kommunen in den nächsten Jahren bleibt. Außerdem müsste das Abrechnungssystem für psychotherapeutische Leistungen sowie die Bedarfsplanung reformiert und an die heutigen Erfordernisse angepasst werden.

Ausklang

Nach einer regen Diskussion gingen die Gespräche beim Imbiss gesellig weiter, die von dem ungewöhnlichen Klarinette-Zither-Duo Schwanghart und Bichlmair gekonnt abgerundet wurden.

Team Allgäu: Die Direktkandidat*innen zur Bezirkstagswahl: Evelyn Villing (Stimmkreis 712 Memmingen), Albert Riedelsheimer (Bezirksrat) und Ursula Reichenmiller-Thoma (Stimmkreis 708 Kaufbeuren)